Freiheit
Sie war das höchste Gut, nachdem Menschen aller Epochen strebten, etwas, das in zahlreichen Revolutionen und Kriegen immer wieder erstritten wurde, wieder verloren ging und wiederentdeckt wurde. 1789 führte sie eine Revolutionswelle an, getragen vom allbekannten Ruf „Libertè, Egalitè und Fraternitè“ und obwohl sie sich in zahlreichen europäischen Ländern heute fest verankert hat, zeigen dennoch genau diese Tage wie fragil die Freiheit ist.
Ein Anschlag und gleichzeitig steigender Islamhass stellen Europa vor eine neue Herausforderung seine Freiheit nicht wieder zu verlieren. Ein Plädoyer für die Freiheit.
Von der Allmacht der Katholischen Kirche zur persönlichen Freiheit in Europa
Menschen hetzen durch die große Halle des Grazer Hauptbahnhofes, manche haben Gepäck in ihren Händen, wieder andere starren schlendernd in ihre Smartphones. Menschen unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlichen Wohnorten, Einstellungen, Meinungen, Interessen, mit einem anderen Kleidungsstil und Lebensstil durchqueren diesen Knotenpunkt des öffentlichen Verkehres.
Sie repräsentieren einen säkularisierten, demokratischen und vor allem freien Staat wie es Österreich ist. Ein Querschnitt durch die Gesellschaft zeigt sich insbesondere in solch öffentlichen Orten, der tagtäglich von Menschen aufgesucht wird, um letztendlich wieder ein ganz individuelles Ziel zu erreichen. Und so individuell diese Ziele sind, so individuell sind auch diese Personen. Es ist die persönliche Freiheit jedes Individuum, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und so zu leben, wie er oder sie das möchte.
Die Freiheit des Einzelnen, der Mensch selbst steht im Fokus. Dieses Denken geht auf die Aufklärung zurück, eine Epoche, in der die Menschen wieder lernten, zu denken.
Bis zur Aufklärung herrschte in Europa ein zutiefst religiöses Denken vor, dass sich quer durch alle Lebensbereiche zog.
Die Bibel war die Grundlage für diese Denkhaltung, auf der die Macht der Katholischen Kirche beruhte. Diese war nahezu grenzenlos. Kaiser- und Königskrönungen, Kreuzzeuge und Inquisition sind nur eine der zahlreichen Möglichkeiten, die die Kirche bis zur Aufklärung nutze, um ihre Macht nicht nur im geistigen, sondern auch im weltlichen Bereich zu sichern. Ein Widerspruch wurde als Ketzerei angeklagt. Es war eine Zeit, in der die Mehrheit der Menschen in Europa unfrei leben musste. Frauen waren von vornherein nicht frei, da sie laut katholischer Lehrmeinung „schlimmer als der Teufel“ waren und so maximal für den Fortpflanzungsakt dienten (vgl. Heiliger Augustinus). Bauern lebten in Abhängigkeit ihres Gutsherren; der Adel und die Kirche teilten sich die Macht auf.
Doch bereits in der Renaissance brach diese Vormachtstellung der Kirche und des Adels langsam auf. Städte entwickelten sich und somit lernten die Menschen zu denken, Dinge zu hinterfragen und nicht alles als „gottgegeben“ hinzunehmen.
Im 18. Jahrhundert war es dann so weit: Die Aufklärung setzte ein und das Weltliche verdrängte das Geistige Wissen, das Diesseits wurde wichtiger als das Jenseits. „Sapere aude“ – Wage, es weiße zu sein! – „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ schrieb 1784 Immanuel Kant und läutete damit den Anfang vom Ende der weltlichen kirchlichen Herrschaft ein. Es folgte die Französische Revolution 1789, die zur Erklärung der Menschenrechte führte mit dem zentralen Ruf nach „Freiheit!“. Obwohl die von ihr ausgehenden Impulse wie ein gewaltiges Erdbeben Europa erschütterten gab es bis zur der Freiheit von heute noch einen langen Weg, der auch durch zahlreiche Rückschläge gekennzeichnet war. Europa stürzte die Welt zweimal in einen Weltkrieg, war das Zentrum totalitärer Systeme und sorgte für das größte Verbrechen, welches der Menschheit je zugefügt worden war.
Die Macht der Kirche verringerte sich Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt. Die Einführung der Gewaltentrennung und die Säkularisierung, die Trennung von Staat und Kirche bedeuteten für Europa einen noch nie dagewesenen Aufstieg und vor allem eine schier grenzenlose Freiheit für das Individuum.
1989 und ein einzigartiges Europa
Der Nationalsozialismus stellte den Tiefpunkt bei der Suche Europas nach der Freiheit dar. Das Individuum wurde dem Staat untergeordnet, es gab kein Entrinnen der NS-Ideologie, das gesamte Leben war vom allmächtigen Staat durchzogen. Vollkommen unverständliche pseudo-wissenschaftliche Rassen- und Geschlechtertheorien verursachten den größten Genozid der Menschheitsgeschichte und brachten den schlimmsten Krieg aller Zeiten, dessen Folgen bis heute nicht gänzlich aufgearbeitet sind.
Die Schrecken des Nationalsozialismus führten in den folgenden Jahren, zuerst nur in Westeuropa, dann jedoch zu einem noch nie dagewesenen Rechte- und Wertesystem, das den Menschen wirkliche Freiheit brachte, wie es nie zu vor der Fall war. Den Wendepunkt dafür stellte 1968 dar. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ihrer Eltern veranlasste eine Generation gegen bestehende Gesellschaftssysteme zu rebellieren. Ihre Bemühungen zeigten sich in einer Familienrechtsreform 1975, die dafür sorgte, dass der Mann nicht mehr Familienoberhaupt ist, sondern die Familie partnerschaftlich geführt wird, in der allmählichen Gleichstellung von Frauen und in weiterer Folge auch in zahlreichen Gesetzen, wie dem Antidiskriminierungsgesetz, das auch im Alltag Vorurteile und Benachteiligungen bestimmter Gruppen schrittweise abbaute. Gleichzeitig steht das Jahr auch für den „Prager Frühling“, dem Versuch auch im Sozialismus etwas Freiheit einzuführen. Alexander Dubcek’s Bemühungen wurden gewaltsam von Panzern der Sowjetunion zunichte gemacht.
Doch der innere Drang nach Freiheit der Menschen ließ sich noch nie unterdrücken und so kam es 1989 – zufällig exakt 200 Jahre nach der letzten großen Freiheitsdemonstration – zum Wichtigsten Ereignis des 20. Jahrhunderts. Tausende Menschen in Ost- und Mitteleuropa gingen auf die Straßen und trotz Demonstrationsverbot ließen sie sich nicht mehr unterkriegen. Schlussendlich wurde das vollendet, was 1968 begonnen wurde: In der Tschechoslowakei fiel mit der „Samtenen Revolution“ ohne Gewalt die Diktatur, ebenso in Ungarn, Polen und der DDR.
An der Schwelle zum neuen Jahrtausend lebte fast ganz Europa in einer nie dagewesenen Freiheit. Weder die Religion noch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, weder die Hautfarbe, noch das Geschlecht bedeuten für einen Bürger der Europäischen Union Unterschiede in der Behandlung oder Wahrnehmung.
Europa im Jahre 2015, das ist ein Kontinent mit schier grenzenlosen Möglichkeiten und Chancen für jeden, der innerhalb der EU wohnt. Keine Religion bestimmt die „Werte“, die eine Gesellschaft unbedingt haben muss, vorbei die Zeiten, als man wegen Widerstand gegen die herrschende Obrigkeit seine Freiheit verlor.
Obwohl noch lange nicht alle Diskriminierungen in der Gesellschaft beseitigt sind, haben die Länder der EU einen Standard an diesen Rechten sich erarbeitet, wie er noch nie zu vor vorhanden war.
„Leben und leben lassen“ lautet das Lebensmotto der Europäer, die vor über 300 Jahre wieder zu Denken begonnen hatten und trotz zahlreicher Rückschläge sich ihre Freiheit erkämpft hatten. Diese Toleranz gegenüber anderen Kulturen, Religionen und Weltanschauungen sind wie die Meinungs- und Pressefreiheit Produkte des langen Kampfes um die Freiheit.
2015 stellt Europa jedoch vor neuen Herausforderungen. In einem säkularisierten Europa MUSS die kritische Auseinandersetzung mit Religion jeder Art erlaubt sein. Satire darf auch Propheten anderer Religionen durch den Kakao ziehen, sowie sie auch über polarisierende Personen, die vor kurzem verstorben sind, kritisch ein Resümee machen darf (vgl. Tod Haider und Willkommen Österreich-Sendung).
Die Anschläge in Paris waren mehr als ein Angriff auf eine kritische Zeitung, sie war ein Anschlag auf die Pressefreiheit und auch die Meinungsfreiheit. Es gibt keine Entschuldigung für solch eine Tat, es gibt schlichtweg die Antwort, dass der Satire dieses Recht bleibt. Es zeichnet aufgeklärte Gesellschaften dadurch aus, dass sie solch einer Karikatur maximal kurz Aufmerksamkeit schenken, sie jedoch dann als „Meinung anderer“ akzeptieren. „Leben und Leben lassen“ fällt jedoch nicht aufgeklärten Religionen, wie dem Islam, schwer.
Terror ruft immer Gegenterror hervor und genau hier muss Europa nun stark sein, auf seine Erfahrung bauen und sich der Situation stellen.
Eine immer steigende Anzahl von Menschen in Europa lehnt den Islam ab oder steht kritisch zu dieser Religion. Der Islam ist und war jedoch seit jeher ein Teil Europas und ist in Bosnien/Herzegowina auch heute noch verbreitet. Die islamische Kultur beeinflusste Europas heutiges Gesicht nachhaltig: Von 711 bis 1492 waren große Teile Spaniens unter muslimischer Herrschaft, ein Zeitraum, in der die islamische Hochkultur weit nach Europa Einzug hielt und das von den alten Griechen konservierte Wissen (Astronomie) nach Europa kam sowie mit neuen Elementen den alten Kontinent einen Innovationsschub gab. Ähnlich verhielt es sich auf der zweiten Achse, die über das Osmanische Reich zahlreiche Erfindungen und Gedanken nach Europa brachte und somit einen großen Anteil am heutigen Denken in Europa hat.
Leider ging das Wissen im Islam selbst darüber größtenteils verloren und so gibt es heute die unaufgeklärten Denkweisen, die andere Meinungen oder eine falsche Darstellung des Propheten Mohammed nicht verstehen (können). Dennoch ist der Teil, der sich am Terrorismus beteiligt bzw. davon überzeugt ist, eine Minderheit im Islam. Mehr noch: Es ist eine verschwindend kleine Minderheit. Es gibt keine Kulturkriege, sondern nur Kulturkrieger formulierte es schon Jürgen Wertheimer im Jahre 2003.
Trotz des unentschuldbaren Aktes des Terrors gegenüber Europas Grundwerten darf Europa nicht mit Gegenterror antworten. Viel mehr braucht es jetzt europäischen Zusammenhalt. Die Europäische Union böte hier die perfekte Gelegenheit. Die EU steht gerade für diese europäischen Grundhaltungen Meinung,- und Pressefreiheit und zusammen mit den Regierungen müssen konkrete Taten folgen, um weiteren Terror zu verhindern.
Gleichzeitig müssen die Politiker jedoch die Ängste und Sorgen der Bevölkerung ernstnehmen und vor allem müssen sie dafür sorgen, dass in der Wahrnehmung der Europäer, nicht Terroristen mit normalen Anhängern des islamischen Glaubens vermischt werden. Gruppen wie PEGIDA sind klar abzulehnen, weil sie versteckt für radikale und anti-demokratische Lösungen stehen. Dennoch muss man ihre Argumente anhören und klar definieren: Toleranz und Freiheit für jeden, jedoch müssen die europäischen Grundeigenschaften (Säkularisierung, Meinung- und Pressefreiheit, Gleichstellung der Frau etc.) akzeptiert werden.
Die Regierungen dürfen jedoch nicht den Fehler machen, Europas Freiheiten wieder für den Anti-Terrorkampf abzubauen. Daher sind auch Forderungen wie jene des spanischen Innenministers nach der Einführung der Grenzkontrollen klar abzulehnen. Das Grenzenlose Europa ist eine der größten Errungenschaften des Vereinten Europas, es rückgängig zu machen, bedeute, dass die Terroristen genau das erreicht hätten, was sie wollen: Europas Freiheitsgedanke zu zerschlagen.
Ebenso sind Forderungen nach einer verstärkten Kontrolle des Internets, das Ablesen von WhatsApp und Co. (wie es David Cameron fordert) oder die Einführung der Todesstrafe (!), wie es Marine le Pen fordert, klar abzulehnen. Der „Kampf gegen den Terror“ darf nicht gegen eine Religion geführt werden und darf auch nicht die Bürger Europas benachteiligen – sei es durch Grenzkontrollen, Abhörmethoden oder der Todesstrafe. Es wäre der Verlust der großen Freiheit, die Europa heute prägt.
Europa braucht klare Schritte gegen den Terror, die jedoch nicht die Freiheit einschränken und eine starke EU, die als Repräsentantin für die Grundwerte Europas steht. Gemeinsam und vereint kann auch kein Terrorismus Europa, diesen einzigartigen Kontinent, etwas anhaben.