Die Geisteswissenschaften werden seit Jahren – vor allem in den USA – abgebaut. Daher ist das Ergebnis der Wahl von Donald Trump zum neuen US-Präsidenten wenig überraschend, denn es sind genau die Geisteswissenschaften, die die Einfachen Parolen der Populisten entlarven. Ein Plädoyer für eine Aufwertung der Geisteswissenschaften – zu unserem eigenen Schutz.
Und sie haben es doch getan: In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch wurde Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt – immerhin ein Amt, das bis heute als das mächtigste der Welt angesehen wird. Obwohl Trumps Konkurrentin der Demokraten, Hillary Clinton, stimmenmäßig mit knapp 300.000 Stimmen vorneliegt, konnte Trump dank dem eigenwilligen US-Wahlsystem die Wahl für sich entscheiden. Die USA und die ganze Welt muss sich nun mit einem neuen Stil in der Politik der USA nach innen und außen anfreunden – auch wenn noch nicht klar ist, wie genau dieser aussehen wird. Klar ist jedoch: Nach dem Brexit ist mit der Wahl von Trump nun zum zweiten Mal etwas passiert, mit dem eigentlich niemand so richtig gerechnet hat – und mit dem niemand rechnen wollte. Beide Ereignisse zeigen wie die stetige Zunahme der Zustimmung für rechts- aber auch (wenn auch in geringen Ausmaße) für linksradikale Parteien bei gleichzeitiger Ablehnung des Status quo, dass sich eine negative Grundstimmung in weiten Teilen der Welt breitgemacht hat.
Wieso wählen immer mehr Menschen Parteien, die eindeutig extremer in ihren Positionen aufgestellt sind? Wieso hat genau jener Erfolg, der sich gegen das Establishment stellt und oft ohne wesentliche, realistisch umsetzbare Alternativen auftritt? Die Gründe dafür sind vielschichtig und wurden zu genüge bereits analysiert. Denn, egal ob bei der FPÖ in Österreich, ob in Ungarn, Polen, beim Brexit oder bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen: Die Grundzutaten für den Erfolg sind immer die gleichen. Da sind jene Menschen, die sich bedroht fühlen durch die immer fortschreitende Globalisierung und all deren negativen Auswirkungen, wie unkontrollierte Zuwanderung, Veränderung der demografischen Zusammensetzung eines Landes aber auch kulturelle Veränderungen – oft reicht schon die Möglichkeit einer Veränderung aus, um diese Leute für einfache und simple Botschaften zu gewinnen. Die Angst vor der Veränderung und vor der Zukunft sowie das Gefühl des Abstieges, das sind einige der Gründe wieso immer mehr Menschen allem „Etablierten“ misstrauen. Europa gleich wie die USA befinden sich etwa 25 Jahre nach dem Zusammenbruch des bipolaren Systems an einer wichtigen Weichenstellung. Denn im Zeitalter des Terrorismus, wo Kriege nicht mehr zwischen Staaten, sondern entlang von kulturellen Bruchlinien stattfinden bzw. wo „Kulturkrieger“ (wie es Jürgen Wertheimer 2003 formulierte) diese grenzenlosen Konflikte in die ganze Welt verfrachten, wird es für die USA – gleich wie für Europa – immer schwerer, die mühsam errungenen Grundrechte bei gleich hohem Lebensstandard aufrecht zu erhalten.
Das Gefühl, den Überblick verloren zu haben und von den Ereignissen buchstäblich „überrollt“ zu werden, kann als eine der zentralen Punkte für das Comeback der einfachen Antworten gesehen werden, wo Inhalte oft kaum eine Rolle spielen. Dazu kommt das Versagen des Establishments, also jener Parteien, Organisationen und Personen, die bisher tonangebend waren, auf die Sorgen der Leute ernsthaft einzugehen. Eine Europäische Union, die mit ihren tausenden Krisen beschäftigt ist und mangels einer Vision, was sie überhaupt ist und in Zukunft sein will unfähig eine klare Antwort zu geben, hat hier ähnliche Probleme wie die USA. Dennoch ist es falsch, die Hauptschuld des Hasses auf regierende Politiker, einflussreiche Medien (die von Gegnern oft als „Systemmedien“ bezeichnet werden) zu schieben. Eine stärkere Einbindung der Probleme jener Personen, die sich als Verlierer stehen wird jedoch notwendig sein. Trotzdem sollten moderate Kräfte kühlen Kopf bewahren und seriös und faktenorientiert abseits des Populismus Politik machen und dabei gleichzeitig auf das wohl wirksamste Medikament gegen Populisten weltweit setzen: Bildung.
Dass der Bildungsgrad in starker Verbindung zu den Wahlergebnissen in vielen europäischen Ländern wie auch der USA steht, ist nicht neu. Je mehr Bildung ein Individuum in seinem Leben genossen hat, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er Populisten mit kantigen, aber oft inhaltsleeren Sprüchen auf den Leim geht. Kaum wird bei den diversen Analysen, die stets nach Wahlen publiziert werden, jedoch darauf hingewiesen, dass es die Geisteswissenschaften sind und weniger technisch-naturwissenschaftliche Zugänge sind, die helfen Dinge nicht schwarz und weiß zu sehen. Denn genau die Naturwissenschaften fördern mit ihrer starken Vereinfachung von Prozessen, wo es oft nur ein „möglich“ oder „nicht möglich“ gibt, den Trend hin zu schwarz/weiß denken. Verstärkt wird das noch durch neue Tendenzen in Schule und Ausbildung, wo die Person immer mehr nur in Systemen denken und handeln soll, zuletzt etwa in Österreich stark gefördert durch die Zentralmatura.
Der Geisteswissenschaft geht es derweilen überall an den Kragen: Vor allem in den USA und in Japan schließt ein geisteswissenschaftliches Institut nach dem anderen, werden Strukturmittel mehr und mehr hin zu naturwissenschaftlich-technischen Fakultäten und Instituten verlagert. Auch in Österreich jammern die geisteswissenschaftlichen Fakultäten unter akuten Geldmangel, Projekte werden oft nicht genehmigt, Personal nur notbedürftig und ohne fixen Vertrag eingestellt.
Rächt sich dieser Trend nun? Die Wahl in den USA hätte vielleicht anders ausgehen können – ebenso wie der Ausgang der Abstimmung über den Brexit. Denn Suchergebnisse von Google zeigen, dass sich viele Leute erst nach der Abstimmung über die wirklichen Vor- und Nachteile informiert haben, währenddessen sie das vorher eher kaum getan haben.
Aber wo liegen jetzt die Vorteile der Geisteswissenschaften, das Schwarz-Weiß-Denken zu überdenken? Primär liegt es bereits an den Gegenständen, die normalerweise zu den Geisteswissenschaften gezählt werden: Geschichte, Geografie, Linguistik und Sprachen, Soziologie seien hier als Beispiel genannt sowie auch die Politikwissenschaft, die auch starke geisteswissenschaftliche Bezüge enthält. Durch die starke Bevorzugung von Mathematik, Physik, Chemie und die daraus folgenden Studien verlieren diese Fächer immer mehr von ihrer Stellung, egal ob in der Schule oder an der Universität, vor allem, weil sie meistens bis heute getrennt und nicht zusammen unterrichtet bzw. gelehrt werden. Fundiertes Wissen über die Geschichte sind zentral dafür, um mit dem Wissen über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft besser zu gestalten.
Wer sich einmal intensiver mit einer geisteswissenschaftlichen Materie beschäftigt hat, weiß, dass nichts so einfach ist, wie es am ersten Blick scheint. Es gibt nicht eine Lösung, wie in den Naturwissenschaften, sondern viele – und diese müssen belegt werden durch eine fundierte Interpretation. Das bewirkt automatisch ein viel vernetzteres Denken und das Verstehen, dass etwa Geschichte ohne die Geografie eigentlich sinnlos ist. Denn was bringt es sich mit Europas Geschichte des 20. Jahrhunderts auseinanderzusetzen ohne die ganzen Orte, Länder und Regionen zu kennen? Geisteswissenschaften erreichen daher genau das, was die Naturwissenschaften nicht erreichen: Die Erkenntnis, dass nichts so simpel ist und nicht nur durch Versuche bestätigt werden kann, sondern komplex und in Verbindung zueinandersteht. Kombiniertes und fächerübergreifendes Denken fördert daher das kritische Nachdenken und das Hinterfragen von Konzepten und Meinungen, Gehörtes – wie etwa ein Wahlversprechen- wird nicht mehr als automatisch richtig abgestempelt, sondern als nur eine Interpretation vieler möglicher Varianten.
Wir müssen also aufhören im Ausbildungsprozess Einheitsmenschen zu produzieren, die bei einer einheitlichen Ausbildung einen starken Fokus auf die Naturwissenschaften setzt, wenn wir wollen, dass in Zukunft mündige und selbstbestimmte Bürger die Zukunft der Welt bestimmen. Was bringen Sinus und Tangens, wenn ein Maturant keine Ahnung vom Nationalsozialismus hat und nicht weiß, wo die Ursachen für den Syrienkonflikt liegen – ein Konflikt der ihn täglich in unterschiedlicher Ausprägung betrifft? Die gesamte Ausbildung muss neben den Naturwissenschaften also wieder stärker die Geisteswissenschaften in den Vordergrund stellen, um verknüpftes Denken zu fördern und vor allem jenes Wissen zu vermitteln, dass wichtig für das tägliche Leben ist. Dazu muss jedoch auch die Ausbildung selbst neu durchdacht werden: Verknüpftes Lernen sowie die Kombination von Geografie und Geschichte mit Bezug zu aktuellen Themen (etwa als Beispiel Nahostkonflikt) helfen, die Welt besser zu verstehen. Denn nur die Geisteswissenschaften können uns helfen mit einem aktuellen Unterricht in Schule und später auch auf der Universität zu zeigen, diese komplexe, globalisierte Welt besser zu verstehen. Die Technik liefert die notwendigen Mittel, die Globalisierung zu nutzen und sorgt für den technologischen Fortschritt, vergisst jedoch dabei, wie es den jeweiligen Menschen dabei geht – die Auswirkung davon sehen wir bei Wahlergebnissen in Europa und in den USA. Die reine Mathematik, Physik oder Chemie kann diese Fragen nicht beantworten, nur die Geisteswissenschaften können mit ihrem kombinierten Denken und vor allem der Erkenntnis, dass nichts so simpel ist, wie es am ersten Blick scheint, diesen Trend umkehren. Nur so kann man der Globalisierungsangst souverän begegnen und so extremen Parolen vieler Parteien den Wind aus den Segeln nehmen.
Nun ist die Politik gefordert hier neue Akzente zu setzen, etwa durch eine Aufstockung der Geldmittel für geisteswissenschaftliche Fakultäten, Projekte, Forschungsreisen oder durch eine Wiederbelebung der Geisteswissenschaften in der Schule: Es muss Platz geben für Diskussionen über aktuelle Ereignisse in der Schule, die dann historisch-geografisch-soziologisch erklärt werden, um aufzuzeigen, wie komplex diese Prozesse sind und dass es mehrere Interpretationsansätze und keine allgemein gültige Regel wie in den Naturwissenschaften gibt. Ohne die Naturwissenschaften abzuwerten: Nur die Geisteswissenschaften sind der Schlüssel dafür, dass wir auch in Zukunft in Freiheit und in Frieden leben können – durch eine fundierte, geisteswissenschaftliche Ausbildung, die ein kritisches Hinterfragen bei gleichzeitiger Kenntnis jener erzielt, einer starken Forschung, die gerade im historischen Bereich aufzeigt, wieso in der Vergangenheit Fehler gemacht wurden, die wir in Zukunft lieber vermeiden.
Wer weiß: Trump wäre vielleicht nicht gewählt worden, wie auch der Entscheid für den Brexit nicht so ausgegangen wäre, wenn die Geisteswissenschaften nicht kaputtgespart worden wären? Eine gewagte Aussage, doch jetzt haben wir noch die Zeit, jene Fehler zu korrigieren. Lieber jetzt mehr in die Geisteswissenschaften investieren, als dann, wenn es zu spät ist: Wenn wir zwar superschnelles Internet haben aber dank der Zensur tausende Websites gesperrt sind. Einfache Antworten führten nie zu einer positiven Zukunft – auch das zeigt uns die Geschichte, als solche Teil der Geisteswissenschaften.