Stacheldraht im Weingarten

Stacheldraht im Weingarten

 

In der Steiermark befand sich mit Spielfeld einer der Hotspots der Migrationsbewegungen 2015. Heute, drei Jahre später, laufen noch immer Grenzkontrollen an den Hauptverkehrsstraßen – wie auch in Bayern und an der Grenze zu Ungarn. Hier, zwischen idyllischen Weinbergen wird Europa- und Weltpolitik und deren Folgen greifbar. Es liegt an uns welches Europa wir wollen: Ein Europa der Stacheldrähte oder ein gemeinsames Europa der Regionen.

Eine Besonderheit der Region: Straßen, die grenzenlos verlaufen

 

Die Welt am 27. August 2018. Eine Nachrichtensendung im Hauptabendprogramm des ORF. Mit dem Titel „Grenzkontrollen bleiben“ kommt ein Beitrag, der den Besuch des deutschen Innenministers an der bayrisch-österreichischen Grenze zeigt. Perfekt inszeniert inspiziert er die Arbeit der neu gegründeten bayrischen „Grenzpolizei“, die hier an einer EU-Binnengrenze Kontrollen durchführt. Und genau diese Kontrollen sollen bleiben. 50 Aufgriffe gab es seit Mitte Juli dadurch im Raum Salzburg. Eine  verhältnismäßig geringe Zahl, die diesen Aufwand lohnt? Für den deutschen Innenminister ja, denn er will „Recht und Ordnung“ in Europa wiederherstellen und die EU-Außengrenzen seien ja noch zu wenig geschützt. „Recht und Ordnung“ heißt vor allem „Germany First“, Egoismus und nicht abgestimmte Schritte beherrschen seit Jahren mittlerweile die Politik in Europa – aber nicht nur hier, wie der folgende Beitrag zeigt. Er zeigt Trump, der bei einer inszenierten Telefon-Pressekonferenz mit dem mexikanischen Präsidenten ein neues Wirtschafts-Abkommen feiert – ohne irgendwelche Details zu nennen. Fakt ist, nur dass NAFTA, das nordamerikanische Freihandelsabkommen damit Geschichte ist. Kanada, dem dritte Staat im Bunde droht er offen – „America First“ ist ja schließlich Programm von Trump. Es ist eine Politik der Inszenierung ohne klare Inhalte und vor allem ohne große Visionen für eine bessere Zukunft. NAFTA ist Geschichte, was kommt ist egal – Hauptsache Trump kann sich als Gewinner darstellen. Kanada? Egal. Und auch Seehofer präzisiert nicht, was er unter einem guten Außengrenzschutz versteht und vor allem nicht wie man diesen erreichen kann. Lieber ungenau bleiben, weil dann kann man in 1 Jahr auch noch von nicht gesicherten Außengrenzen sprechen, um innenpolitisch das Wählerklientel der „Mia san mia“- Bierzeltpolitik zu befriedigen, die ihre „großen Führer“ genau deswegen wählt – lieber ein paar Bilder, die Seehofer an der Grenze im Autostau zeigen als einen Seehofer, der aktiv etwas für eben den Schutz jener Außengrenzen tut. Dazwischen kommt auch noch der Bundeskanzler zu sprechen, auch er leiert das Übliche herunter, wird jedoch nicht konkreter – es heißt „Nation first“, Solidarität und grenzüberschreitende Lösungen sind im Jahr 2018 nicht mehr in.

 

Szenenwechsel, einige Wochen vor diesen Nachrichtenbeitrag. Die Sonne scheint von einem azurblauen Himmel, die enge Straße schlängelt sich die saftig grünen Weinberge hinauf. Es ist späterer Nachmittag, ein Hochsommertag wie er im Bilderbuch steht. Die steil abfallenden Weinberge mit den Weinreben, auf dem Gipfel andere Straßen und vereinzelt Bäume, die verblüffend an Zypressen erinnern. Das Gebiet in der Steiermark zwischen Graz und Maribor, genauer entlang der österreich-slowenischen Grenze, ist eine der schönsten Regionen Österreichs und Mitteleuropas. Hier gedeihen einige der besten Weine der Region, hier ist es zumeist deutlich milder als in den anderen Regionen Österreichs. Es ist eine bezaubernde Region oder besser eine verzauberte Region, die den Vergleich mit der Toscana nicht zu scheuen braucht.

Idylle in der Steiermark

 

 

Hier in dieser Region, zwischen den Weinbergen, lag 2015 einer der Schwerpunkte der Migrationsbewegung, die in der Bevölkerung große Verunsicherung ausgelöst hat und rechtspopulistische Parteien noch stärker gemacht hat. Ein Hotspot war Spielfeld am Rande der Weinberge, wo es wochenlang Ausnahmezustände gab – inklusive hitziger Diskussionen um die Installierung von Grenzzäunen, die ironischerweise auch andere Namen erhalten haben. Und hier probte auch eine neue „Grenzschutzeinheit“ den Ernstfall, die Einheit „Puma“ soll Österreichs Grenzen hier „schützen“. Dafür wurde etwa ein extra Logo entwickel, man bediente sich einer FPÖ-nahen Agentur, was für einige Diskussionen sorgte und massiv an die Zeiten der schwarz-blauen Regierung der 2000er Jahre erinnerte.

 

Der gesamte reguläre Grenzeinsatz, d.h. ähnliche Kontrollen wie in Bayern (bereits hier zeigt sich die Absurdität, welchen Sinn es macht innerhalb von 300 km dreimal  an Binnengrenzen (!) Kontrollen abzuhalten) kostet halbjährlich 20.000.000 Euro – und aufgegriffen wurden 10 Personen, was Kosten von 2.000.000 Euro pro Person bedeutet. 20.000.000 Euro, die in Spielfeld wie auch an der bayrisch-österreichischen Grenze alte Zeiten wiederaufleben ließen: Der Sommer 2018 ist geprägt von kilometerlangen Rückstaus an den Grenzen, um diese Inszenierung der mitte-rechts Regierungen mitzutragen. Nicht nur, dass kleinere Straßen oftmals nicht kontrolliert werden, nein, viel dramatischer als die extrem ungerechtfertigten Kosten, die in keiner Relation zu den Ergebnissen stehen, sind die nicht direkt messbaren Konsequenzen: „Grenze“, „Grenzschutz“, „Grenzschutzeinheit“ – der Begriff der Grenze erlebt ein Wiederaufkommen und bohrt sich wieder stärker in die Köpfe der Menschen. Mal eben in Bayern einkaufen überlegt man sich nun dreimal, der spontane Ausflug nach Maribor hat im Hintergedanken immer die „Grenze“, die man dazu überschreitet. Das Schengener Abkommen ist nämlich weitaus mehr als nur irgendein Abkommen, es ist eine der größten Errungenschaften des liberalen Europas. Es ermöglicht historisch künstlich geschaffene Grenzen, die übrigens auf einer longue durée erst seit relativ kurzer Zeit existieren, wieder weniger dramatisch werden zu lassen, Grenzen werden zu simplen Verwaltungsgrenzen degradiert, verlieren aber ihren Schrecken als Barriere, die man lieber nicht überschreitet. Die slowenisch-österreichische Grenze ist dabei ein gutes Beispiel, da sie eine historische Region in zwei Teile teilt, denn zu beiden Seiten befindet sich die Steiermark. Die Steiermark und die Štajerska sind historisch eine Region, der einzige Unterschied ist die Sprache, die nördlich und südlich der künstlichen Grenze gesprochen wird. Kulturelle Eigenheiten ändern sich auch in 100 Jahren nicht grundsätzlich und so sind die Menschen dies- und jenseits der Grenze näher als sie vielleicht selbst annehmen möchten.

Zurück zur sogenannten „Südsteirischen Weinstraße“, die so etwas wie ein „Pflaster“ über die Narbe der Geschichte, der Grenze, darstellt. Sie verläuft teilweise exakt an der Grenze zwischen Österreich und Slowenien – eben quer durch die Region Steiermark. Rechts und links liegen Weingüter, wo unter der warmen Sommersonne exzellente Weinsorten heranreifen. Und an jenen warmen Tag Ende Juli sind auch wir in dieser Region unterwegs, fahren durch die verträumte, hügelige Landschaft und entscheiden uns spontan wo stehenzubleiben. Wir biegen rechts ab und folgen einer Tafel zu einem Weingut, nach nicht einmal 100 Meter kommen wir zu einem großen Bauernhof, wo eine Panoramaaussicht auf die Weinreben wartet. Unter dem Schatten eines Baumes bestellen wir einen Wein und sehen erst jetzt, dass wir in Slowenien sind. Keinerlei Hinweistafel hat den Staatswechsel angekündigt. Keinerlei Schild hat uns darauf hingewiesen, dass wir nun im „Ausland“ sind. Wir genießen den exzellenten Wein unter der warmen Sommersonne und sind begeistert von diesem kleinen Paradies nicht weit von Graz entfernt. Die Preise sind natürlich in Euro, denn dank der Einheitswährung ist auch diese Trennung bereits lange gefallen. Und während man hier sich im Paradies wiegt, kommen drei ältere Herren. Sie sind ihrem Dialekt zu urteilen aus der unmittelbaren Region, doch auch sie haben nicht bemerkt, dass sie die Grenze überschritten haben und nun in „Jugoslawien“, wie sie gelegentlich sagen, sind. Noch verblüffter sind sie als die Wirtin ihnen mitteilt, dass sie hier natürlich auch mit Euro zahlen können (Slowenien ist übrigens seit 10 Jahren Euro-Mitglied, es braucht anscheinend bis Neuerungen sich um sprechen…). Die EU, Schengen, die Gemeinschaftswährung: Das Gemeinsame Europa wirkte selten näher als an diesem Nachmittag unter den Weinreben, die auch keine Grenzen zu kennen scheinen: Man erkennt keinen Unterschied zwischen Österreich und Slowenien, die Trauben wachsen dies- und jenseits der berüchtigten Grenze. Es spielt hier keine Rolle welchen Land man angehört, was zählt ist die gemeinsame Region mit ihrer jahrhundertelangen Geschichte. Die Grenze, die hier seit 1918 die Landschaft trennt existiert unter den Weintrauben nicht.

 

Die „Grenzschutzeinheit“ eines Innenministers Kickl wirkt hier wie ein schauriges Märchen aus einer anderen Epoche, als nur wenige hunderte Kilometer von hier an der Isonzo-Front Millionen Soldaten ihren Tod fanden. Sie wirkt surreal, nicht in diese Idylle passend – wie auch die Idee Grenzzäune aufzuziehen. Grenzzäune quer durch die Weinberge, quer durch die gleich wachsenden Weinreben? Der ehemalige, deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte einmal, dass ohne Geschichte die Gegenwart unbegreifbar bleibt. Und in diesem Weingarten in der Steiermark wird das so richtig spürbar, wir müssen wissen was war, um unsere Errungenschaften im Heute zu beschützen.

Genuss ohne Grenzen

Die Politik von Trump, Salvini, Strache und Seehofer führen zurück in die Vergangenheit, sie machen das Gemeinsame kaputt und stellen Egoismus über die Solidarität. Die wahren Feinde für ein liberales Europa kommen nicht von außen – sie kommen von innen und tragen die Namen führender Politiker. Es sind ein Orban, der Flüchtlinge in Auffanglagern hungern lässt, ein Salvini, der mit dem Leben der Menschen seine taktischen Ziele erreichen will und es sind auch Politiker wie ein Seehofer, die schrittweise die Errungenschaften eines freien, liberalen Europas geringer machen, scheibchenweise auch unsere persönliche Freiheit reduzieren.

 

In einem Bericht des ORF Burgenland vom 12.05.2018 heißt es: „Wegen der fortgesetzten Grenzkontrollen sind für Burgenländer Grenzübertritte zu Ungarn und Slowenien nur an den rund 35 offiziellen Grenzübergangsstellen erlaubt. Wanderungen über die „grüne“ Grenze sind also strafbar.“

War unser Besuch im Weingarten also illegal? Ist es schon so weit, dass ein gemütlicher Ausflug strafbar werden kann, nur weil man eine EU-Grenze überschreitet? Das Ende aller grenzüberschreitend angelegten Radwege, aller Wanderwege, die errichtet wurden, um die Menschen den Schrecken von der Grenze zu nehmen, um Regionen wieder zusammenzuführen, um Europa ein stückweit gemeinsamer zu gestalten? Die Schauermärchen der Großeltern, die von einem Grenzübertritt warnten wirken wieder aktuell.  Und das für 10 aufgegriffene Personen? Sind wir bereit die Europäische Union und die Entwicklungen von Jahrzehnte dafür aufzugeben?

Wie viel ist von diesem Bild geblieben? Bild zur Weiterverwendung gekennzeichnetm siehe https://www.flickr.com/photos/hinkelstone/43377235424

1989 durchschnitten der damalige Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Amtskollege den Eisernen Vorhang medienwirksam und gaben dem Ende des bipolaren Europas so eines der wohl aussagekräftigsten Motive. 2018 macht man sich bei Grenzüberschreitungen „einfach so“ also angeblich wieder strafbar. Der Eiserne Vorhang ist teilweise wieder Realität geworden. Die Freiheit verschwindet nicht von heute auf morgen, es ist eher ein scheibchenweises Verschwinden und noch können wir diesen massiven Rückschritt aufhalten, um grenzüberschreitende Regionen nicht ganz zu verlieren. Wenn wir nicht aufpassen, dann sind lästige Grenzstaus nur der Anfang gewesen, dann verlieren wir am Ende des Tages unsere Freiheit.

Durchtrennt diese Landschaft bald ein Stacheldrahtzaun?

 

Der Geist eines freien Europas muss wieder stärker werden, denn sonst sind Menschenrechte, freie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Personenfreizügigkeit bald Geschichte. Und durch diesen idyllischen Weingarten in der Steiermark durch diese verzauberte Landschaft, mitten auf einer künstlichen Grenze zwischen einer Region, führt dann vielleicht bald ein Stacheldrahtzaun, quer durch die gleichwachsenden Reben. Es ist das, wohin „Austria, America, Italy and Germany first . kurz „Nation first“ führt.

Die offene Gesellschaft und einer ihrer potenziellen Feinde, der Standard, 23. März 2017

„Wer Grenzen schafft, stirbt darin.“

„Ohne Kenntnis unserer Geschichte bleibt die Gegenwart unbegreifbar“  – Helmut Schmidt

 

Bericht von burgenland.orf.at vom 12.05.2018 : https://burgenland.orf.at/news/stories/2912242/

Die Nachrichtensendung war die Zeit im Bild, Hauptabendausgabe, vom 27.08.2018

 

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