„Ich glaub etwas, was du nicht glaubst“: Konservativer Pessimismus und die Ablehnung des Etablierten und die Gefahr für Europa 

Die Masern sind wohl das beste Beispiel für das was man als „Konservativen Pessimismus“ bezeichnen könnte. Obwohl als Krankheit praktisch schon ausgestorben, treten derzeit wieder zahlreiche Fälle in Europa auf, weil die Durchimpfungsrate zu gering ist und somit der „Herdenschutz“ fehlt. Viele Menschen wurden zu Impfgegnern, da sie kein Geld der „bösen Pharmaindustrie“ geben wollen. Ähnliches hört man beim Klimawandel: Gibt’s nicht. Es ist doch gerade jetzt im Mai sehr kalt – wieso also globale Erwärmung!? Schließlich dient das alles nur dazu Verbote zu erlassen und die Menschen zu bevormunden. Die Migrationswelle von 2015? Alles von George Soros gesteuert, der von der EU auch dafür bezahlt wird! Es gibt kaum ein kontroverses Thema, wo derzeit nicht irgendeine Verschwörung dahinter vermutet wird. Die Großkonzerne, die Politik, die Medien – alle verbreiten sie nur Fake News und sind gegen das „Volk“! Diese Rhetorik ist nicht neu, doch zusammen mit der technologischen Revolution und der Fähigkeit des Internets jederzeit irgendwelche Meldungen an ein sehr großes Publikum zu bringen, haben diese Aussagen ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen. Es gibt ein verringertes Vertrauen in die Institutionen der Demokratie, in die Gesetzgebung und eine generelle Ablehnung alles dessen was in irgendwelcher Weise als „etabliert“ angesehen wird. Die rechtspopulistischen Parteien nutzen diesen Pessimismus und machen daraus Wählerstimmen – mit düsteren Folgen für Europa.

„Konservativer Pessimismus“ eignet sich deshalb zur Beschreibung dieser Phänomene, da es vorwiegend konservative Personen sind, die an solch ein neues Weltbild auch glauben und von teils abstrusen Ideen und Konzepten überzeugt sind. Sie sehen in der Globalisierung und der rasanten Veränderungen eine Bedrohung für ihr bisheriges Leben und wenden sich daher – wissentlich und unwissentlich – gefährlichen Entwicklungen hin. Das größte Problem ist der Vertrauensverlust in wissenschaftlich gesicherte Tatsachen. Wenn sogar Politiker wie der US-Präsident laufend Falschmeldungen verbreiten, dann ist das nicht nur dumm, sondern höchstgefährlich, weil sie nachhaltig das Vertrauen der Menschen in die Wissenschaften schädigen. Es beginnt vielleicht mit dem Verschleiern von fundierten Tatsachen (wie die Zunahme der globalen Temperatur oder die Wirksamkeit von Impfungen), führt dann über die Aufstellung von Gegenwahrheiten, die zumeist aus weniger seriösen Kreisen stammen, und kann dann durch gezielt Politikkampagnen bei erfolgreicher Wahl zur Kürzung von Fördermitteln für wissenschaftliche Einrichtungen und, im schlimmsten Fall, sogar zu dessen Auflösung führen. Doch das wirklich fatale an dieser politischen Methode ist ihr Umfang: Die Fakten werden infrage gestellt, gleichzeitig aber auch gleich politische Mitbewerber, die (noch) die objektiv nachweisbaren Fakten vertreten, als unglaubwürdig, als Teil der Elite, dargestellt, als Personen, die nur auf ihren eigenen Profit aus sind. Medien werden zu „Systemmedien“ dieser Elite degradiert und damit gleich zu „Feinden“, die dann ebenfalls als unglaubwürdig dargestellt werden. Die Gefahr liegt in der Beschleunigung dieses Teufelskreislauf, weil sich diese Spirale immer schneller drehen kann, sodass letztendlich eine Mehrheit in der Bevölkerung verunsichert ist und aus Unkenntnis der wirklichen Lage solchen Falschmeldungen in die Falle läuft. Letztendlich führt dies zu einem Vertrauensverlust in die Wissenschaft und damit auch in den Fortschritt.

Dies ist doppelt fatal, weil damit die für Europa so wichtigen Prinzipien der Aufklärung infrage gestellt werden. 1784 definierte Immanuel Kant mit „Sapere Aude“ ein Motto der europäischen Aufklärung: „habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Die Wissenschaften, sowohl jene naturwissenschaftlichen als die geisteswissenschaftlichen genossen in der Aufklärung und danach ein hohes Prestige und Ansehen, da sie die Menschheit nach vorne brachten. Physik, Chemie, Mathematik sind die Eckpfeiler unserer heutigen Welt, Geschichte, Geographie und Philosophie die Basis für unser demokratisches System. Die Entdeckungen und Entwicklungen in all diesen Bereichen haben die Menschheit unendlich nach vorne gebracht, die Lebenserwartung erhöht, das Rechtsystem revolutioniert und Grundlagen, wie die Menschenrechte geschaffen, die uns heute in Europa ein freies und friedliches Leben ermöglichen. Doch gleichzeitig mit der enormen Zunahme des konservativen Pessimismus nimmt das Vertrauen – und damit die finanzielle Unterstützung – der Wissenschaft ab. Geisteswissenschaftliche Einrichtungen auf den Universitäten werden radikal gekürzt, gerade in Ländern wie Ungarn, die an ihrer Spitze eine Regierung haben, die den konservativen Pessimismus zu ihrer Handlungsmaxime erklärt haben. Die Gefahr für Europa ist daher groß, wenn Politiker an die Macht kommen, die mit dem konservativen Pessimismus spielen, die sich ihre Wahrheit zurechtlegen und die wissenschaftlichen Erkenntnisse einfach ignorieren. Es geht darum Europas Geist zu verlieren, den Geist der Aufklärung und des Liberalismus, der die letzten Jahrhunderte die Menschheit nach vorne gebracht hat. Es geht darum den medizinischen, technologischen aber auch den gesellschaftlichen Fortschritt aufhalten zu wollen. Mit rechtspopulistischen Parteien ist die Zukunft düster: Ein einheitliches Gesellschaftsbild, dass Menschen in Kategorien und vorgefertigte Rollen einteilt, geprägt von Repression und Unterdrückung und eine Wissenschaft, die sich diesem totalitär einseitigen Weltbild unterordnen muss. Ist es das, wohin Europa sich wirklich entwickeln soll?

Doch was tun? Die Politiker, die noch an Fakten und die Wissenschaft glauben, müssen noch stärker und vereinter gegen die Politik von Orban, Trump und Strache auftreten, sie müssen aber auch die Ursachen des konservativen Pessimismus ansprechen: Prekäre Arbeitsbedingungen, die negativen Auswirkungen der Globalisierung, ein Rückgang in den Bereichen der Sozialpolitik. Gleichzeitig kann jedoch nur ein Bekenntnis zu einer faktenorientierten Politik helfen den Zuwachs von „alternativen“ Strömungen aufzuhalten. Das Europa der Zukunft sollte ein Ort sein, in dem hohe Sozialstandards für ein friedvolles Zusammenleben in einer gestärkten Europäischen Union beitragen, getragen von einer Wissenschaft, die sich in allen Bereichen voll und ohne staatliche Einschränkungen entfalten kann. Europa sollte nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Wissenschaftsunion werden, in der die Ideen frei zirkulieren können. Dazu gehören ganz sicher nicht die repressiven Vorstellungen der rechtspopulistischen Parteien, die den vorherrschenden Pessimismus nutzen um Stimmen zu generieren – doch nicht zum Wohle der Bevölkerung, sondern zum Ausbau ihrer Machtbasis, die sie benötigen um ihr düsteres Weltbild in die Tat umzusetzen.

Wir brauchen daher Vertrauen in die Wissenschaft, in den Fortschritt und den Glauben an eine freie, europäische Gesellschaft. Kurz: An Visionen für ein besseres Europa. Und nicht an ein Europa, wo Menschen in Kategorien eingeteilt werde, von Politikern, die eine vermeintliche Vorherrschaft einer Gruppe propagieren. Doch dazu müssen die Politiker ihre Taktik ändern – wenn ihnen wirklich etwas an einer positiven Zukunft liegt. Die jüngste Aussage von Sebastian Kurz, 1000 EU-Verordnungen streichen zu wollen, wobei 2018 lediglich 34, 2017 25 und 2016 32 Verordnungen erlassen wurden, zählt hier ebenso dazu. Es sind bewusste Falschaussagen, die die Tatsachen verschleiern und Stimmung machen. Verantwortungsvolle, zukunftsorientierte Politik sieht anders aus. Doch noch schlimmer wird es, wenn etwa mit der Gesundheit der Menschen gespielt wird, wie dies das bereits dargelegte Beispiel der Masernimpfungen zeigt. Nicht nur die Politiker sind daher gefordert, sondern letztendlich alle Europäer: Es geht nicht darum, der Pharmaindustrie blind zu vertrauen, doch auch nicht hinter jeder Maßnahme eine Weltverschwörung zu sehen. Es geht darum seinen Verstand einzusetzen, damit Europa ein liberaler Ort im Geiste der Aufklärung bleibt: „habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ – und letztendlich sogar Pessimums durch Optimismus zu ersetzen! Denn Europa braucht eine optimistische Zukunftshaltung – und kein Gesellschaftsmodell vergangener Zeiten, das noch dazu die Freiheit der Wissenschaft einschränken will.

PS: Passend zu diesem pessimistischen Weltbild geprägt von Verschwörungstheorien und Fake-News passt dieser Song vom italienischen Sänger Francesco Gabbani, hier mit Übersetzung. Er besingt dort diese neue, paradoxe Weltsicht, wo Fakten nichts mehr zählen.

TEXT:

Dickhäuter und Papageien

Weißt du, dass die ganze Welt in ein Display passt?
Die DNA von ganz weit entfernt kommt
Dass du mit drei mal Atmen zwei Gletscher zum Schmelzen bringst
Das Telefon spioniert uns aus, es kommt von der CIA
Schweigen ist daher Gold
Weißt du, dass Ghandi ein Freimaurer war?
Die Beatles eine Erfindung waren
Und das Adolf überlebt hat
Die Titanic, die ist nie gesunken
Die Naturkatastrophen
Alles die Schuld der Tempelritter
Chemtrails und Marsianer
Reptiloide

Oh my darling
Ich bin alleine auf der Welt, während du zu mir sprichst
Und ich versuche mich zu konzentrieren
Oh my darling
Zum Glück haben wir Fixpunkte und Tatsachen
Dickhäuter und Papageien
Oh my, oh my darling
Dickhäuter und Papageien
Oh my, oh my darling

Weißt du, dass die Erde platt ist und bereits dominiert wird
Von den Gay-Lobbies, von jüdischen Bankiers
Nur ein Herr
Marylin und Elvis leben auf Hawaii
Sie haben eine Bar eröffnet, die Star heißt
Sie machen Goldgeschäfte
Der Mensch wurde schon geklont
In Teile zerlegt und wieder aufgeweckt
Du kannst nur von Heu leben
Milch ist schlechter als Blut
Es gibt keine Beweise
Von der Landung am Mond
Die ägyptischen Pyramiden
Die sind von den Marsianern

Oh my darling
Ich bin alleine auf der Welt, während du zu mir sprichst
Und ich versuche mich zu konzentrieren
Oh my darling
Zum Glück haben wir Fixpunkte und Tatsachen
Dickhäuter und Papageien
Oh my, oh my darling
Dickhäuter und Papageien
Oh my, oh my darling

Und dieser unserer neuen Religion
Geben wir eines Tages vielleicht einen Namen
Diesen immensen Lied bei erloschenen Lichtern
Wo alles ewig ist und etwas länger als ewig dauert

Unglaubliche Meldung
Die Erde ist flach und von der Gay-Lobby in Übereinkunft mit den jüdischen Bankern regiert
Marylin und Elvis leben auf Hawaii
Schockmeldung! Der Mensch wurde offiziell geklont!

Oh my darling
Ich bin alleine auf der Welt, während du zu mir sprichst
Und ich versuche mich zu konzentrieren
Oh my darling
Zum Glück haben wir Fixpunkte und Tatsachen
Dickhäuter und Papageien
Oh my, oh my darling
Dickhäuter und Papageien
Oh my, oh my darling

Leave a Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *