Nationalismus 2.0 – das falsche Spiel der vermeintlichen Volksversteher

„Die Welt muss sich nicht in eine Richtung bewegen, hin zu einem Mix von Kulturen und Rassen, hin zu einer Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energien setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen“. Dieser Satz stammt vom polnischen Außenminister Witold Waszcykowksi, Mitglied der PiS-Partei, die seit einigen Monaten Polen in rasendem Tempo umwandelt. Doch der Satz hätte auch von Marine Le Pen oder Heinz Christian Strache stammen können. Viele, vor allem eher konservative Bürger werden dem auch viel abkönnen. Ja, zu viel Multikulti tut nicht gut, ja als Autofahrer nerven mich diese blöden Radfahrer auch jeden Tag und diese ganzen Vegetarier übertreiben es so, dass man ja als „Allesesser“ schon schief angeschaut wird. In Internetforen ist seit Jahren eine große Sympathiewelle für Orbans Ungarn, Putins Russlands und jetzt auch für Polen zu spüren. Das Multikulti-Getue der Linken und die nur für Konzerne arbeitende und oberdrein noch machtbesessene EU in Brüssel werden Europa noch in Chaos stürzen. Da ist es doch gut, dass es da so starke Persönlichkeiten gibt, die mit ihrem autoritären Regierungsstil mal so richtig aufräumen – mit der unfähigen EU, den Genderwahn, den bösen Linken, den Vegetariern und den Radfahrern. Soweit die Überzeugung weiter Bevölkerungsteile in ganz Europa. Leider sind viele in die Falle all jener neu erklärten „Volksversteher“ getreten, die derzeit mit diesen Rundumschlag gegen political correctness Stimmen holen. Denn hinter der Fassade von „mehr Volk“ steht eigentlich „weniger Volk“ und gut versteckt die Ideale des 20. Jahrhunderts, die Europa und die Welt zweimal in den Abgrund gestürzt haben.

Hinter dem Gerede von einer „Säuberung des Staates“ wie es etwa der eigentliche starke Mann in Polen, Kaczynski, nennt, steht nicht mehr und nicht weniger als der Umbau hin zu einem autoritären Staat, der jede Form von Pluralismus vermeiden, wenn nicht sogar eliminieren will. Dabei bedient er sich Konzepten, die man eigentlich schon lang für nicht mehr existent in Europa geglaubt hätte. Mit einer Mischung aus Katholismus und Nationalismus wird ein Volkswillen kreiert, der angeblich die wahre Stimme des Volkes repräsentieren soll. Nicht in das Bild dieses neuen Polens, aber auch analog dazu in Russland oder in Ungarn, passen Andersdenkende, die eben in irgendeiner Art und Weise unterschiedlich sind – ob sie Radfahrer, Vegetarier oder einfach nur andere Ansichten (diese werden in Polen etwa als „schlechte Polen“ bezeichnet) haben, spielt dabei keine Rolle. Man ist davon überzeugt, dass die EU das Hauptproblem dieser in ihren Augen zu toleranten Gesellschaft ist mit ihren Verordnungen, Richtlinien und ihren endlosen Debatten. Ist man gegen die Ansichten der Regierung, ist man automatisch auch gegen die Interessen des Landes. Eine ziemlich simple Argumentation, die aber brandgefährlich ist, ähnlich machten es etwa die Nationalsozialisten.

Polen, Ungarn oder Russland mit dem NS-Regime gleich zu setzen, wäre jedoch übertrieben. Diese neuen Systeme im Osten Europas gefährden jedoch – vor allem in Falle von Ungarn und Polen – die über Jahrzehnte ja wenn nicht sogar Jahrhunderte gewachsene Toleranz Europas.

Die Berücksichtigung von Anliegen von Minderheiten einer Bevölkerung – aus welch Grund auch immer – mag mühsam, manchmal ärgerlich und nicht einfach sein, sie ist jedoch Teil jenes Systems, dass heute Europas Werte ausmacht. Die Regime in Ostmitteleuropa treten diese Werte mit den Füßen, indem sie eben bestimmte Bevölkerungsgruppen ausgrenzen und beispielsweise als „schlechte Polen“ bezeichnen. Sie untergraben das Recht auf freie Meinungsäußerung, wie in Polen nicht nur durch den Umbau von öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen in „Kulturinstitute“ schon bewiesen wurde, sondern auch durch diverse Aussagen von Regierungsmitgliedern. Bei einer Pressekonferenz sagte ein PiS-Mitglied, dass kritische Fragen „aufhören“ müssen. Soll das das Europa sein, in dem wir leben wollen?

Jubel von vielen Seiten erhält Polen und Ungarn für ihren Umgang mit Brüssel. In Internetforen freuen sich manche schon gar auf den laut ihnen bald bevorstehenden Untergang dieses Systems, dass für sie die Ursache alles Übel ist. Gerade Nationalisten reiben sich die Hände, wenn sie sehen, wie die totgeglaubten Werte des Nationalstaates und eben eines Volkes wieder ausgegraben werden. Dabei ist Nationalität und die Nation etwas künstliches, etwas, dass sich nicht von selber gebildet hat. Im Römischen Reich, im Mittelalter und teilweise auch noch in der Neuzeit spielte der Nationalstaat keine Rolle, es gab ihn schlichtweg nicht. Auch heute ist diese Künstlichkeit leicht nachweisbar, etwa bei Werten, Eigenschaften, Symbolen und Bräuche, Traditionen etc. die typisch „österreichisch“, „französisch“ oder sonst was sind. Da gibt es die „österreichische“ Küche, die aber in der Realität eine „mitteleuropäische“ ist. Denn Knödel und viele Süßspeißen kommen aus Tschechien, die Palatschinken aus Ungarn oder das Wiener Schnitzel etwa aus Mailand. Es gibt nicht eine Nationalküche, nein es gibt höchstens regionale Gerichte, die sich langsam aber doch ausgebreitet haben. Die Nationalisten und der Nationalismus wollen uns aber anhand von künstlich geschaffenen Begriffen, Werten und Eigenschaften einreden, dass etwas NUR österreichisch ist und nicht slowenische, tschechische, italienische, ungarische und kroatische Elemente enthält. Anhand dieses einfachen Beispiels sieht man wie Nationalismus den Blick auf das Wesentliche trübt und künstlich Vielfalt in eine Einseitigkeit verändern will, die es so nicht gibt.

Als im 19. Jahrhundert die Sprache zum „Symbol“ einer Nation erklärt wurde, erfolgte die Ausbildung von Nationen, die sich scharf voneinander abgrenzen – eben anhand ihrer Sprache. Den Gipfel dieses Dranges nach diesem Nationalismus haben wir in Form des Ersten und Zweiten Weltkriegs erlebt und dieses Gedankengut lebt heute in Form der ganzen nationalistischen Parteien fort, die diese künstlich geschaffene Nationalstaaten bis heute als die Idealform auch für die Zukunft ansehen.

Logischerweise ist die EU, die als Konsequenz auf das nationalistische Treiben dieser europäischen Nationen gegründet wurde, ein Feindbild für all jene, die diesen Nationalismus anhängen. Leider sehen immer mehr Menschen in der EU genau das was diese nationalen „Volksversteher“ wollen. Die Symbolik hinter diesem Projekt und die „entzaubernden“ Maßnahmen gegen den künstlichen Nationalismus können heute immer weniger Menschen begeistern. Vieles dieses Frustes ist hausgemacht.

Die EU schafft in vielen Fragen – sowie auch viele Regierungen – es nicht mehr einen Draht zu ihrer Bevölkerung zu finden. Dennoch sollte es ihr und jenen Kräften, die demokratische und weltoffene Ansichten vertreten, jetzt erst recht bewusst werden, dass vor jenen rechten, nationalen Bewegungen, wie sie in Polen oder Ungarn vorhanden sind, letztendlich ein Verlust europäischer Werte ausgeht. Sanktionen und Bestrafungen sind dabei jedoch nicht unbedingt der richtige Weg, da sie eventuell zu einer größeren Sympathie für die nationalen Regierungen führen. Ganz im Gegenteil – der richtige Weg sollte sein mit klaren und handfesten Botschaften die Vorteile der großen Errungenschaften Europas aufzuzeigen und dabei notgedrungen auch Abstriche im eigenen Programm zu machen. Europa sollte weltoffen sein, jedoch einen realitätsnahen Blick auf die Dinge behalten. Kein Weg führt über die Entlarvung jener „Volksversteher“ – denn hinter dem gerade für konservative Bevölkerungsschichten durchaus attraktiven Programm steht die dunkle Fratze des nationalistischen, totalitären Europa, dass die Welt zweimal in den Abgrund getrieben hat.

Europa muss aufwachen, der Realität ins Auge sehen und nicht die Augen verschließen vor einer Radikalisierung Europas, die am Beginn mit einfacher verbaler Ausgrenzung von Radfahrern, Vegetariern, Frauen, Flüchtlinge, Andersdenkende etc. beginnt und mit Verfolgung und Schlimmeren enden könnte. Europa muss seine Vielfalt behalten, in einer Zeit, in der rechtsradikales Gedankengut auch bürgerlich-konservative Ebenen erreicht, müssen die Bewahrer dieses Europas der Vielfalt aktiv werden und vernünftig und mit kühlem Kopf ein Abdriften Europas in die dunkelsten Stunden der Vergangenheit verhindern.

Leave a Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *